Reise mit der Transsib
Mit der Transsib quer durch Russland
von Nils Peuse
Die Reise beginnt
Die Sonderwaggons des „Zarengold“-Zuges rollen ein und werden langsam an den Linienzug angekoppelt. Alles unter den wachsamen Augen von Schaffner Sergey Kotov, der seit zehn Jahren den touristischen Teil der Transsib begleitet.
9.288 Kilometer...
Mehr als sieben Tage dauert die Reise zwischen Taiga und Tundra, zwischen Metropolen und Jurten, zwischen Zwiebeltürmchen und buddhistischen Klöstern.
„Die Transsib hält meine Ehe jung!“
Dutzende Male ist Zugschaffner Sergey die gesamte Transsib-Strecke mittlerweile gefahren. Langweilig wird ihm das nicht: „Es gibt überall in Russland so viele schöne Ecken. Für mich gibt es keinen schöneren Arbeitsplatz und man kommt mit so vielen interessanten Leuten in Kontakt. Außerdem hält die Transsib meine Ehe jung. Was gibt es Besseres?“
Nostalgie? Und wie!
Nostalgische Romantik oder Abenteuer pur? Wie die Reise wird, hängt auch von der Klasse ab...
Abteile wie die des neu gebauten „Nostalgie-Komfort“-Sonderwagens sind die Luxus-Variante, in der Touristen die Transsibirische Eisenbahn erleben: bequeme Betten, eine mit dem Nachbarabteil geteilte Dusche, frisches Obst und Wodka zur Begrüßung.
Jeden Morgen wird in ganz privater Atmosphäre auf den roten Sitzbänken gefrühstückt.
Mit den Zuständen in der 3. (Plazkartny) oder 4. (Obschchy) Klasse hat das wenig zu tun...
Es geht auch ohne Luxus
Bei etwa 25 Grad Innentemperatur quetsche ich mich an nackten Füßen und verschwitzten Achseln durch den schmalen Gang entlang der Stockbetten. Es riecht nach Schweiß, und es ist unheimlich eng.
Ja, hier wartet tatsächlich das ursprüngliche und unromantische Abenteuer Transsib...
Im Rhythmus des Zuges
Stundenlang ziehen verschneite Birken- und Nadelwälder, Datschen und kleine Dörfer am Fenster vorbei. Ich beginne, eine Vorstellung von der schieren Größe Russlands zu bekommen.
Und während es draußen immer dunkler wird, nähern wir uns langsam Nowosibirsk.
Die erste Nacht im Zug
Minus 13 Grad Außentemperatur schrecken hier manch Mitreisenden nicht davon ab, in kurzer Hose und Badelatschen den beheizten Waggon zu verlassen und in aller Ruhe eine Zigarette zu rauchen. Ich freue mich auf mein warmes Abteil und ein gemütliches Bett.
Ankunft in Krasnojarsk
Lange war sie für Touristen nicht zugänglich, da hier in der Sowjetzeit viel Atom- und Rüstungsindustrie angesiedelt wurde. Diesen industriellen Charakter hat die Stadt trotz des malerischen Flusstals des Jenissei nicht verloren.
Von der Paraskeva-Kapelle aus wird das besonders deutlich: Der Smog von Industrie und Autos ist vor allem im Winter ein echtes Problem in Krasnojarsk. Die Bürger begehren zunehmend wegen der schlechten Luftqualität auf.
Wodkaprobe im Zug
Guide Anatoly Dolgov sieht’s pragmatisch: „Wodka soll nicht schmecken, sondern wirken. Pass auf, so geht's richtig: Ausatmen, trinken, weiter ausatmen und erst dann wieder einatmen. Und am besten ganz schnell ein Stück eingelegte Gurke hinterher.“
Tatsächlich: Mit dieser Technik ist Wodka auch für Nicht-Fans erträglich. Und die Blinýs mit frischem Kaviar lassen mich den im Hals brennenden Alkohol schnell vergessen.
Ankunft in Irkutsk
Es riecht nach Steinkohle, die in Irkutsk neben Wasserkraft viel zum Heizen genutzt wird. Zwei Meter tief ist der Boden hier gefroren. Anfang Februar sank das Thermometer hier auf minus 40 Grad. Das ist selbst für sibirische Verhältnisse sehr kalt.
Was überrascht: Wegen dieser harschen klimatischen Bedingungen hat die lokale Bevölkerung bis zu drei Wochen mehr Urlaub im Jahr und darf einige Jahre früher in Rente gehen.
Die „Perle Sibiriens“
Der Baikalsee ist an manchen Stellen so klar, dass ich bis zu 43 Meter tief schauen kann. Überall knackt und grollt es. Die bizarren Eisformationen erinnern an zerborstene Glasplatten.
Als die Sonne langsam hinter dem Baikalgebirge versinkt, wird das Eis trotz klirrender Kälte in warme Farben getaucht. Ich bin an einem der schönsten Orte der Welt.
Wiedersehen mit dem Zug
Nach einer Schlittenhunde- und Pferdekutschenfahrt geht es mit der Fähre über die eisfreie Angara nach Port Baikal, wo der Zarengold-Zug schon wartet. Unsere Reise auf Schienen geht weiter.
Die kommenden Stunden wird der Zug über eine für den Linienverkehr stillgelegte Strecke fahren. Früher fuhren hier die Züge nach Irkutsk. Heute wird die alte Strecke nur noch von Touristenzügen genutzt.
Grillen bei minus 20 Grad
Unerschrocken davon zeigt sich der russische Akkordeonspieler, der uns neben mit volkstümlicher Musik bei Stimmung hält.
Auch wenn der Zug unmittelbar neben dem Dorf hält, ist die Infrastruktur recht rudimentär. Es gibt kaum Arbeit, die jungen Leute wandern in die größeren Städte ab, sagt Reiseführer Anatoly.
Exotische Großstadt zwischen den Kulturen
Ulan Ude ist die Hauptstadt der Republik Burjatien. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, Asien näher als Europa zu sein. Doch der sowjetisch geprägte Charakter ist unverkennbar. Der Sowjet-Platz wird überragt von einem etwa fünf Meter hohen Leninkopf aus Granit.
Die Burjaten machen sich einen Spaß daraus. Man habe ja schließlich schon immer die abgeschlagenen Köpfe der besiegten Feinde öffentlich zur Schau gestellt, scherzt die Reiseführerin. Na dann...
Die Landschaft ändert sich
Auch der Schnee wird langsam weniger. Wüsste ich es nicht besser, wäre ich geneigt zu denken, draußen wäre ein lauer Sommerabend. Ein Foto aus dem offenen Fensterspalt belehrt mich eines Besseren: Es ist sogar noch kälter als an den ersten Tagen.
Do svidaniya, Russland!
Während der Zug gemächlich durch das Niemandsland zwischen den beiden Grenzstationen in Russland und der Mongolei fährt, fallen mir langsam die Augen zu.
In Unterhose vor der Grenzbeamtin
Womit ich nicht gerechnet habe ist, in Unterhose vor einer jungen, mongolischen Grenzbeamtin zu stehen. „Stand up please“, sagt sie in einem scharfen Ton. Drei Worte, die die Gesamtsituation für mich nicht gerade angenehmer machen. Schlaftrunken und halbnackt fülle ich die Arrival Card aus.
Eine gute Stunde später bekomme ich endlich den Reisepass zurück und es geht weiter durch die rabenschwarze Nacht in der Mongolei. Diesen Grenzübertritt werde ich so schnell nicht vergessen.
Ulaanbaatar
Beim Blick ins Stadtbild ist es schwer vorstellbar, dass die Hälfte aller Einwohner Ulaanbaatars auch heute noch in der Jurte leben, inmitten der Beton- und Glasbauten der Neuzeit. Geheizt wird auch hier zumeist mit Kohle. Zwei große Kraftwerke und sehr viel Verkehr tragen ihr Übriges zur Smog-Glocke bei, die schon von Weitem erkennbar ist.
Dass die Mongolen ein Nomadenvolk sind, wird auch heute noch im Alltag schnell deutlich. Selbst Taxifahrer orientieren sich oft nicht an Straßennamen. Wenn man irgendwohin will, richtet man sich eher nach besonderen Merkmalen in der Umgebung (beispielsweise fünf gelbe Häuser, die nebeneinander stehen). Und das scheint tatsächlich zu funktionieren.
Übernachtung in der Jurte
Ursprünglich und authentisch? Die Realität sieht etwas anders aus. Neben Kingsize-Bett und Laminatboden wartet diese Luxusvariante auf zwei Ebenen auch mit einem modernen Bad und heißer Dusche auf. Geheizt wird mit Heißluftventilatoren.
Vielleicht entspricht das nicht ganz der romantischen Vorstellung, die ich von einer Jurtenübernachtung in der Mongolei hatte. Die Aussicht von der direkt angegliederten Terrasse ist dadurch aber nicht weniger spektakulär.
Die Reise geht zu Ende
Die „Zarengold“-Variante fühlt sich fast mehr an wie eine Kreuzfahrt auf Schienen. Mit nostalgischem Luxus im Zug und Abenteuern beim Aussteigen.
Die richtig wilden Geschichten schreibt die Transsib wohl eher in der 3. oder 4. Klasse. Vielleicht also sollte man diese Reise noch einmal machen – und mit den Menschen dort Karten spielen, Wodka trinken und sich ihre Geschichten anhören, mit allen (Un-)Annehmlichkeiten, die dazu gehören.
Vielleicht kommt man dem Mythos Transsib so noch ein wenig mehr auf die Spur...
Musik unter Lizenz von artlist.io
Soundeffekte von freesound.org
Angel Perez Grandi/Kyles Alley